Wie Corona unsere Wirtschaft verändern könnte

Mehr Anständigkeit, mehr Langfristigkeit, mehr Gemeinsinn


17. April 2020|By Nils Langhans

Das weiße Schiff mit dem roten Kreuz vor der Freiheitsstatue, Leichen, die von Gabelstaplern in Kühllaster verladen werden, die Furchen der Schutzmasken in den erschöpften Gesichtern von Pflegerinnen und Pflegern – die Coronakrise produziert schreckliche, in ihrem Schrecken ikonische Bilder, die sich in das Kollektivgedächtnis nicht bloß einer Nation oder eines Erdteils, sondern der gesamten Welt einbrennen werden. Und mit einiger Sicherheit muss man fürchten: Wir haben die schlimmsten Bilder noch gar nicht gesehen, wir haben das Schlimmste erst noch vor uns. Die Corona-Pandemie markiert eine globale Zäsur: Vermeintliche Gewissheiten stehen plötzlich in Zweifel, werden durch die Wucht und Rasanz der Ereignisse herausgefordert. Klar ist: Die Welt mit und nach Corona wird eine andere sein.

Auf die Krise folgt zunächst: Die Krise

Das politische Primat in dieser Pandemie kann und darf nur der Schutz und die Rettung von möglichst vielen Menschenleben sein. Aktuell kann niemand seriös beantworten, wie lange der dafür notwendige gesellschaftliche wie wirtschaftliche Shutdown noch andauern muss, doch die Hoffnung, dass nach dessen Ende alles wie vorher weitergeht, ist trügerisch. Die ökonomischen Auswirkungen mögen sich bereits heute für viele Arbeitnehmer und Unternehmer existenziell anfühlen, doch ist ihr ganzes Ausmaß gegenwärtig erst in Konturen erahnbar – sie werden mehrheitlich erst mit einigem Zeitverzug nach der gesundheitlich-humanitären Krise einschlagen. So wie uns das Coronavirus noch längere Zeit erheblich in unserem Alltag einschränken wird, so wird sich auch das Wiederanlaufen des Gesellschafts- und Wirtschaftslebens wohl langwieriger und schwerfälliger gestalten als uns dies lieb ist. Die Krise forciert dabei eine Rekonstitution globaler Märkte, Machtarchitekturen und Präferenzen im Zeitraffer, deren Auswirkungen insbesondere die Länder des globalen Südens mit voller Wucht treffen wird. Mit jedem weiteren Tag Coronakrise wird die internationale Zusammenarbeit brüchiger, kollabieren globale, just-in-time-geschaltete Supply Chains weiter, wird ihr Wiederbeleben aufwendiger und teurer. Im Ergebnis droht eine kurz- und mittelfristige flächendeckend-gleichzeitige Krise des Angebots wie der Nachfrage, ergo letztlich eine globale Krise der Wertschöpfung, die wiederum eine Krise der Finanzierung entfacht – eine gefährliche Kettenreaktion. Die finanz- und realwirtschaftlichen Konsequenzen sind dabei auf zwei perfide einfache Wege miteinander verbunden: Je länger die Realwirtschaft brach liegt, desto mehr Unternehmen gehen bankrott und bringen mit ihren Kreditausfällen die Finanzwirtschaft ins Schlingern. Je stärker wiederum die Finanzwirtschaft unter Druck gerät, desto schwieriger wird es für Unternehmen mit Liquiditätsengpässen, sich an den Kapitalmärkten zu finanzieren. Die Unwägbarkeiten der Corona-Pandemie entziehen der Weltwirtschaft temporär so ihren wichtigsten Schmierstoff: Das Vertrauen, genauer, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit globaler Angebots- und Absatzmärkte sowie Wertschöpfungs- und Lieferketten. Für viele große wie kleine, junge wie alte Unternehmen bedeuten vor allem die kommenden Monate daher zunächst einen Überlebenskampf.

Krisen verstärken und beschleunigen fundamentale Verschiebungen

Gleichzeitig fungieren Krisen egal welchen Ursprungs und Ausmaßes auch als Brennglas für Veränderung und Fortschritt. Auf Sicht bringen die aktuellen Krisenerfahrungen eine Neubewertung mancher grundlegender Annahmen über die Weltwirtschaft mit sich. Auf makroökonomischer Ebene etwa ist längst ein Diskurs über die mangelhafte Resilienz von globalen Supply Chains entbrannt – im Ergebnis ist eine wieder stärkere Fragmentierung bzw. Regionalisierung von Wertschöpfung denkbar. So könnten sich im Nachklapp der Coronakrise etwa Branchen wie der Luftverkehr oder die Logistik dauerhaft verändern. Zugleich beschleunigt die drohende Wirtschafts- und Finanzkrise die fundamentalen Verschiebungen in der globalen Wettbewerbs- und Wertschöpfungsarchitektur. Wir erleben seit rund einer Dekade nicht weniger als eine grundsätzliche Redefinition von Wert und Wertschöpfung, die die alte industriell-begründete Marktmacht durch immer neue, innovative Geschäftsmodelle herausfordert, ja zu Nichte macht. Im Angesicht der Krise erleben wir bereits jetzt eine Stärkung der post-industriellen, kognitiv-digitalen Wertschöpfung – auf mikroökonomischer Ebene etwa durch eine wachsende Nachfrage und Adoption digitaler Lösungen in den Bereichen Bildung, Medienkonsum oder Handel. Perspektivisch wird sich die durch neue Technologien, neue Geschäftsmodelle und neue Arbeitsweisen getriebene Disruption – oder Transformation im Sinne einer Selbstdisruption – bestehender Industrien und der einhergehende Wandel zur digitalen Wissensgesellschaft beschleunigen. Die Krisenerfahrung bringt den notwendigen Leidensdruck auch für unbequeme, unpopuläre Veränderungen mit sich. Ein Grund dafür: Die Krise schafft auf Sicht deutlich erschwerte Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und die Zukunftsfähigkeit der Wertschöpfung eines Unternehmens wird noch stärker als bisher zur zentralen Investitionsbedingung. Für die Post-Corona-Zeit gilt: Je kleiner der Kuchen wird, desto heißer wird die Ware »Zukunftsfähigkeit« gehandelt, während gleichzeitig all jene, denen man die Zukunft nicht (mehr) zutraut, an den Kapitalmärkten abgestraft werden.

Anständigkeit und Gemeinsinn als Gebot der Stunde

Wer oder was als zukunftsfähig gilt, hat Larry Fink, CEO des weltgrößten unabhängigen Vermögensverwalters BlackRock, kürzlich recht klar umrissen, in dem er den Stakeholder-Value und die Nachhaltigkeit einer Unternehmung zu zentralen Investitionskriterien erhob. Das erfolgreiche Unternehmen von Morgen ist nicht mehr eindimensional auf die Optimierung seiner Rendite getrimmt, sondern integriert und balanciert fortlaufend die heterogenen, im Wandel begriffenen Ansprüche seiner Stakeholder – Resilienz schlägt Effizienz. Mögen es nun die erdende Erfahrung der Ohnmacht in der Krise oder die Warnungen des Kapitalmarkts sein – gegenwärtig agieren die allermeisten Akteure jedenfalls vorbildlich und umsichtig. Man hilft sich, man engagiert sich, man versucht seinen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten. Unzählige Initiativen werden von Privatpersonen wie Unternehmen getrieben und getragen – die Coronakrise ist auch ein Fest des Anstands, der Anständigkeit, des Miteinanders. Sie erinnert uns: Unser Wohlstand ist nur das Resultat des Wohlstands der anderen. Gleichzeitig wirft die Anständigkeit und Solidarität der Vielen auch das Licht auf diejenigen, die Gier und Egoismus im Hobbes’schen Sinne für das Gebot der Stunde halten. Wenn ein hochprofitables, global erfolgreiches Unternehmen wie Adidas beschließt, seine Mietzahlungen bis auf Weiteres zu stunden, während Soloselbstständigen und Kleinunternehmen das Wasser schon über den Hals schwappt, mag das buchhalterisch vielleicht gewitzt erscheinen, doch folgt der Shitstorm samt substantiellem Reputationsschaden auf den Fuße – zu Recht. Im Sinne des Stakeholder-Value ist die Gesellschaft mit ihren Präferenzen als Arbeitnehmer, Konsument und Anleger Aufsichtsrat jedes Unternehmens – und sie schaut in diesen Tagen der Krise genau hin, genauer als sonst. Für Unternehmen steht aktuell entsprechend nicht nur ihr kurzfristiges Überleben auf dem Spiel, sondern auch ihre Reputation und ihre gesellschaftliche Legitimation – und mit ihr ihr langfristiges Überleben. Unternehmenslenker stehen vor dem Dilemma, im Angesicht der akuten Existenzkrise unter enormem Zeitdruck und mit wenig Informationen weitreichende Entscheidungen zu treffen, die einerseits kurzfristig ihre überlebenswichtigen Wirkungen entfalten müssen und sich andererseits nicht als langfristiger strategischer Bumerang erweisen dürfen. Umso wichtiger ist es, trotz aller existenzieller Sorgen die Angst nicht zur Entscheidungs- und Handlungsmaxime zu erheben, sondern auch kurzfristigste Entscheidungen an langfristigen strategischen Zielen auszurichten. Angst und Aktionismus sind auch in dieser tiefen Krise keine guten Berater. Anständigkeit und Gemeinsinn, gepaart mit Entschlossenheit im Handeln und Langfristigkeit im Denken, sind die unternehmerischen Gebote dieser Krise – und vermutlich auch für die Zeit danach.


Nils Langhans ist Gründer und Geschäftsführer von KAUFMANN / LANGHANS. Er arbeitete zuletzt als selbstständiger Kommunikationsberater für Startups aus den Bereichen AI, Blockchain und FinTech. Zuvor war er unter anderem für die strategischen Kommunikationsberatungen Hering Schuppener und CNC sowie für den ehemaligen Obama-Berater Julius van de Laar tätig. Nils ist Alumnus der Studienstiftung, Mitglied bei Mensa e.V. und wurde 2018 vom PR Report in das 30-unter-30-Ranking gewählt.