Über die Zukunft von Innovation Labs

Die Zeit des fröhlichen Vor-Sich-Hin-Digitalisierens ist vorbei


26. Februar 2020|By Dominik Kaufmann

Teuer, planlos, wirkungslos – die Unkenrufe werden lauter und kürzlich bescheinigte das Manager Magazin den Berliner Digitallaboren gar pauschal ihr Scheitern. Die Innovation Hubs und Labs der Konzernwelt stehen im Angesicht mittelmäßiger Resultate und einer gesamtwirtschaftlichen Eintrübung massiv unter Beschuss. Dabei waren die vor einigen Jahren meist in der Hauptstadt angesiedelten Innovationseinheiten zunächst ein weises Eingeständnis, die Konsequenz einer in den Vorstandsetagen der Republik gereiften Erkenntnis: Unsere herkömmlichen Innovationstechniken greifen zu kurz, sind nicht gemacht für die Anforderungen des digitalen Zeitalters. Die Paradedisziplin der deutschen Wirtschaft und Industrie, die inkrementelle Innovation, das stückweise Heranrobben an Perfektion, sah sich plötzlich mit disruptiven (Sprung-)Innovationen konfrontiert. Die grundlegenden Verschiebungen von Wert und Wertschöpfung stellen nicht weniger als die Existenz von Made in Germany in Frage und haben das Potential, heutige Weltkonzerne und Hidden Champions zu Zulieferern von Softwaregiganten zu degradieren. Im Angesicht dieser Verschiebungen der Machtarchitektur ganzer Märkte und Industrien ist Nicht-Handeln definitiv die schlechteste unter allen verfügbaren Optionen. Insofern ist der Impuls, der hinter den allermeisten Innovation Hubs und Labs steckt, ein absolut richtiger: Wir geben uns nicht kampflos geschlagen, wir handeln, wir legen einfach mal los. Gleichzeitig – auch das ist ein Teil der Wahrheit – ist die Performance vieler Innovationseinheiten tatsächlich unbefriedigend. Doch woran liegt das?

Es gibt nur ein Ziel: Die Transformation des Kerngeschäfts

So richtig der Impuls zum Aufbau digitaler Schnellboote ist, so groß ist die Gefahr, dass sie sich als hübsche, digitale Kulissen erweisen, hinter denen alles seinen gewohnten, bleiernen Gang geht. Kein Hub und kein Lab aber ist Zweck in sich, sondern stets nur Mittel zum Zweck, zu genau einem Zweck: der Transformation des Kerngeschäfts, ergo der Transformation des gesamten Unternehmens. Die Innovationseinheiten müssen zu dieser unausweichlichen Transformation auf unterschiedlichen Ebenen beitragen. Allen voran sollen sie auf Sicht neue Umsatzpotentiale erschließen, etwa durch neue Geschäftsmodelle, neue Produkte oder neue Technologien. Ein Kernfehler liegt gegenwärtig darin, dass bei aller Vernarrtheit in die Ideenfindung und Ideenentwicklung die Kommerzialisierung einer guten Idee zu kurz kommt oder schlicht vergessen wird. So sterben Ideen in konzeptioneller Schönheit, anstatt sich in der harten Realität zu beweisen und messbare Wirkung im Geschäft zu erzielen. Doch sind Hubs und Labs nicht nur für die Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle zuständig. Sie sind mit einem zeitgemäßen Arbeitsumfeld auch Anziehungspunkt für High Potentials und für allerhand dringend benötigte Tech-Profile, die für das angestaubte Mutterunternehmen in drei Leben nicht zu begeistern wären. Gleichzeitig bieten die Innovationseinheiten die Chance, in einem zunächst geschützten Raum eine neue Kultur und ein neues Mindset zu prägen, das jedoch – gegenwärtig ebenfalls ein Manko – perspektivisch auf das gesamte Unternehmen skaliert werden muss, um Früchte zu tragen. Und nicht zuletzt sind Innovationseinheiten kein Streichelzoo, der für Erheiterung in der Vorstandsetage zu sorgen hat, sondern sie sollen der Stachel im Fleisch des Konzerns sein, sie müssen die Altvorderen piksen und manchmal weh tun, sie müssen die Organisation mit ihren Ideen, ihrem Spirit und ihrer Geschwindigkeit vor sich hertreiben, aus der Komfortzone schieben und gleichzeitig – getreu dem Maya-Prinzip (»most advanced yet acceptable«) – anschlussfähig an die Kernorganisation bleiben. Eine erfolgreiche Innovationseinheit ist mehr als nur ein Guckloch in die Zukunft. Sie disruptiert das Mutterunternehmen Tag für Tag von innen – und hilft ihm so dabei, eben nicht disruptiert zu werden. Der Weg dahin ist jedoch weit und steinig.

Der Druck steigt – und das ist gut so

Das Lab1886 von Daimler etwa, 2018 noch zu einem der besten Digitallaboren Deutschlands gewählt, stand zwischenzeitlich quasi vor dem Aus. Der Grund ist simpel: Wie der wirtschaftliche Druck auf Konzerne mehr und mehr steigt, wird auch der Blick auf Digitaleinheiten zunehmend argwöhnisch. Wer für viel Geld wenig greifbare Ergebnisse und viele Fehlschüsse liefert, während gleichzeitig Gewinnwarnungen über die Ticker laufen, der erntet Sturm und braucht sich über wachsende Ungeduld nicht wundern. Der Druck steigt entsprechend – und das ist gut so. Denn die größte Gefahr für den Erfolg einer Innovationseinheit ist, dass sie statt dem Besten das Schlechteste aus Startup- und Corporate-Welt zusammenführt. Der Stechuhr-Arbeitsethos einer Konzernbehörde gepaart mit der Cappuccino-Lässigkeit der Digitalszene erzeugt einen gigantischen goldenen Käfig, für den dann tatsächlich gilt: Außer Spesen nichts gewesen. Klar ist: Wer die Fancyness der Startup-Welt ohne den dazugehörigen Schweiß adaptieren will, der wird scheitern. Es wird vielerorts schlicht vergessen, dass existenzieller Druck eine Kernbedingung für den Erfolg von Startups ist, weil genau dieser Überlebenskampf – 9 von 10 Startups scheitern – Höchstleistungen ermöglicht. Genauso wie Startups an verschärften Marktbedingungen scheitern, werden in Zukunft auch Hubs und Labs am steigenden Druck scheitern müssen, während andere aus dieser Phase, in der die Gemütlichkeit endet, gestärkt hervorgehen. Für die Corporate-Innovationseinheiten im Jahr 2020 gilt ein für alle Mal: Die Zeit des fröhlichen Vor-Sich-Hin-Digitalisierens ist vorbei.

Nur wer sich selbst transformiert, kann andere transformieren

Wenn Innovationseinheiten ihren Zweck erfüllen und bei der Transformation des Unternehmens mitsamt seines Kerngeschäfts eine echte Hilfe sein wollen, dann müssen sie sich selbst auf den Prüfstand stellen. Nach zwei, drei oder vier Jahren Existenz gilt es, Zwischenbilanz zu ziehen – und aktiv nachzusteuern, sich im Zweifel selbst zu transformieren, um besser zu werden: Was haben wir gelernt? Was hat gut funktioniert und was hat überhaupt nicht funktioniert? Warum gibt es uns eigentlich und wo wollen wir hin? Allen voran gilt es, das Mandat des CEO für die Einheit zu erneuern und zu schärfen, damit sichergestellt bleibt, dass die Einheit Treiber der Transformation des Gesamtunternehmens bleibt und nicht zum Digitalisierungsstreichelzoo degeneriert. Dazu braucht es Klarheit vor allem in vier Fragestellungen:

1. Was ist der Wirkhorizont?

Sollen die Projekte im kommenden Jahr profitabel sein oder den Grundstein für erste Umsätze in fünf Jahren legen? Die strategische Einigkeit über den Wirkhorizont ist Voraussetzung, um entsprechend Zwischenschritte adäquat bewerten zu können – und im Zweifel gegenzusteuern. Dazu braucht es klar definierte Metriken, mit denen Erfolg gemessen werden kann.

2. Was ist das Operating Model?

Beschäftigt der Hub Designer, Entwickler und Co. als Festangestellte oder setzt man bedarfsorientiert auf einen Pool von Freelancern? Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Hub? Passen die internen Prozesse und Strukturen zum Auftrag der Einheit? Ein klares, passgenaues Operating Model ist die Grundlage für Resultate.

3. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Kerngeschäft?

Ist die Innovationseinheit Unterstützer und Facilitator von Innovationen aus dem Konzern oder Treiber von eigenen Innovationen? Hier braucht es eine Klärung der Rolle, des Zusammenarbeitsmodus und des Wertversprechens an den Hauptkunden der Innovationseinheit: das Mutterunternehmen. Wichtig ist es zudem, die Rolle und den Auftrag der Innovationseinheit trennscharf von anderen ähnlichen Einheiten im Konzern abzugrenzen.

4. Was ist der Beitrag zur Wertschöpfung?

Werden in der Innovationseinheit neben Ideenfindung und Validierung auch Inkubation und Kommerzialisierung hinreichend vorangetrieben? Es gilt: Jede Innovationseinheit ist letztlich nur so gut wie die Ergebnisse, die sie liefert. Und Ergebnisse manifestieren sich ultimativ in der Kommerzialisierung einer Idee.

Es braucht dringend eine klare strategische Ausrichtung

Bei aller berechtigten Kritik wäre es ein fatales Signal, jetzt die Flinte ins Korn zu werfen. Für Konzerne sind die Innovationseinheiten auch in Zukunft ein wichtiges Werkzeug, um ihre unausweichliche, überlebensnotwendige Transformation voranzutreiben. Damit die Hubs und Labs diesen Auftrag erfüllen können, gilt es, diese zentralen Fragestellungen alsbald im Verbund mit dem CEO zu klären, um so der wachsenden Frustration und grassierenden Orientierungslosigkeit eine klare strategische Ausrichtung und Perspektive entgegenzusetzen.


Dominik Kaufmann ist Gründer und Geschäftsführer von KAUFMANN / LANGHANS. Er arbeitete zuletzt als Projektleiter für die Strategie- und Organisationsberatung undconsorten und beriet dort DAX- und TecDAX-Unternehmen bei den Themen Transformation, Agilisierung und Vertrieb. Zuvor war er als Market Manager für die Daimler AG tätig. Dominik ist Alumnus der Studienstiftung und Mitglied bei Mensa e.V..