Was wir von Aristoteles und Google über erfolgreiche Teams lernen können

Der vergessene Wettbewerbsvorteil


22. November 2019|By Dominik Kaufmann

Liebling der Sonntagsreden, doch Stiefkind von Montag bis Freitag: Das Team. Egal ob Start-up oder Konzern, Wirtschaft oder Politik – allerorts wird Teamwork beschworen und mit mehr oder weniger unpassender Fußballmetaphorik garniert. Die Worthülse »Team« ist en vogue. Ein Blick auf die organisationale Realität jedoch ernüchtert: Das Team als vielleicht wichtigster Stellhebel für den Organisationserfolg wird sträflich vernachlässigt, ja schlicht vergessen. Initiativen zur Performance-Steigerung setzen gleichzeitig zu groß und zu klein an. So werden strukturelle Justierungen auf Bereichsebene vorgenommen und parallel maximal individuelle Maßnahmen bei Bonus, Bewertung und Befähigung beschlossen. In der Betrachtung fehlt jedoch häufig die Mesoebene: Das Team. Doch im digitalen Zeitalter entsteht der entscheidende Teil der Wertschöpfung auch großer Organisationen in Teams, also in kleinen, agilen Einheiten, die meist nicht mehr als zehn Personen umfassen. Die Mechaniken und Erfolgsfaktoren dieser Teams zu verstehen und entsprechend für die eigene Organisation zu adaptieren, entwickelt sich so zu einem neuen Wettbewerbsvorteil. Digitale Pioniere wie Google oder Cisco haben den blinden Fleck längst erkannt und wenden seit Jahren Millionen auf, um eine Antwort auf die Frage zu finden: Was macht erfolgreiche Teams erfolgreich?

Teams waren schon immer wichtig – jetzt werden sie entscheidend

Auch in vordigitalen Zeiten waren Teams nicht unbedeutend. Doch erst im digitalen Zeitalter kommt ihnen ihre besondere, erfolgskritische Bedeutung zu. Der Grund dafür ist einfach: Arbeiten, die man allein und durch reine Fachlichkeit erledigen kann, werden immer stärker automatisierbar – und damit auf Sicht nicht mehr vom Menschen erledigt. Gleichzeitig sind komplexe Probleme, bei denen weder der Weg, noch das Ergebnis a priori erkennbar ist, in Zukunft nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wir können diese Probleme nicht mit Schema F lösen, sondern müssen uns durch Kreativität und Interdisziplinarität, durch Fehler und Versuch, unterschiedlichste Lösungszugänge erschließen. Ein Stückweit sind Teams dabei auch die Antwort auf den War for Talents, auf die häufig beklagte Knappheit an Personen mit dem Profil »Schweizer Taschenmesser«. Anstatt in das Lamento über den chronischen Mangel an Allroundern mit fachlichen Spezialgebieten, auch T-Shaped-Profile genannt, einzusteigen, müssen wir verstehen, wie fachliche Breite und Tiefe in einem Team produktiv werden kann. Denn der Bedarf an effizienter Teamarbeit nimmt zu: Die Zeit, die Manager und Angestellte mit kollaborativen Aktivitäten verbringen, ist in den letzten zwei Dekaden um mehr als 50 Prozent angestiegen, wie der Harvard Business Review berichtet. Klar ist: Die kluge, additive Zusammensetzung eines Teams ist die Antwort auf die Komplexität der Probleme von Morgen, aber auch auf die Imperfektion und Unzulänglichkeit jedes Einzelnen.

Hey Google, wie formt man eigentlich erfolgreiche Teams?

»Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«, schrieb schon Aristoteles in seiner Metaphysik – und lieferte damit einen frühen Vorläufer für die Theorie der Emergenz von Systemen. Das beste Team besteht also nicht zwangsläufig aus den besten Individuen. Mehr noch: Schon Hypothesen darüber aufzustellen, was erfolgreiche Teams ausmacht, ist enorm schwierig. Google forscht seit Jahren daran, Muster für die ideale Team-Zusammensetzung zu identifizieren – und stößt auf uneindeutige, teils widersprüchliche Resultate. So bestehen einige der effizientesten Teams im Google-Kosmos aus Freunden, die über die Arbeit hinaus enge Bande pflegen. Andere ähnlich effiziente Teams sind aus Personen zusammengesetzt, die keinerlei private Beziehung pflegen. Einige der erfolgreichen Teams werden von starken Managern angeführt. Andere bevorzugen eine fast hierarchiefreie Struktur. Und es kommt noch schlimmer: Zwei Teams mit praktisch identischem Setup liefern in der Google-Studie radikal unterschiedliche Effektivität. Entsprechend ernüchternd scheinen die Ergebnisse über die ideale Teamzusammensetzung – zumindest auf den ersten Blick.

Wie statt wer – Diese fünf Faktoren treiben den Teamerfolg

Nicht wer in einem Team ist, ist für den Teamerfolg entscheidend, sondern wie die Teammitglieder miteinander interagieren, wie sie ihre Arbeit strukturieren und wie sie auf ihren eigenen Beitrag zu den Arbeitsergebnissen blicken. Besonders spannend dabei ist, wie die Google-Studie das fluffige Konstrukt Teamwork operationalisiert und somit diskutier- und optimierbar macht. Demnach unterscheiden fünf Faktoren erfolgreiche von nicht erfolgreichen Teams:

  1. Bedeutung der Arbeit: Glauben wir daran, dass die Arbeit, die wir machen, zählt?
  2. Persönliche Relevanz: Arbeiten wir an etwas, das uns persönlich wichtig ist?
  3. Struktur und Klarheit: Sind Ziele, Rollen und Planungen im Team klar?
  4. Verlässlichkeit: Können wir uns darauf verlassen, dass wir qualitativ hochwertige Arbeit on-time abliefern?
  5. Psychologische Sicherheit: Können wir in diesem Team Risiken eingehen ohne uns unsicher oder gar beschämt zu fühlen?

Nur wer auch dumme Fragen stellen darf, der wird die richtigen Fragen stellen

„Psychologische Sicherheit“ ist laut der Untersuchung der bei weitem wichtigste Faktor für den Teamerfolg. Ein Risiko im Team eingehen zu können, klingt zunächst banal und – lauscht man dem allgegenwärtigen Mantra der Fehlerkultur – fast selbstverständlich. Aber common sense ist eben nicht common practice: Wann haben Sie sich das letzte Mal nicht getraut, eine Frage zu stellen, aus Angst vor einer unangenehmen Reaktion aus der Gruppe oder aus Angst, dumm dazustehen? Für die meisten Menschen ist es schlicht kontraintuitiv, Verhaltensweisen nachzugeben, die die eigene Kompetenz oder gar Person in ein schlechtes Licht rücken könnten. Dieser habitualisierte Selbstschutz mag evolutionäre Gründe und Berechtigung haben, doch ist er toxisch für effektives Teamwork. Entsprechend entpuppt sich das Maß an psychologischer Sicherheit als zentrales Erfolgskriterium, um im Team komplexe Probleme zu lösen. Erst die Anständigkeit und Empathie im Miteinander schafft den Raum, in dem sich jeder Einzelne traut Fehler zu machen und durch diese Sicherheit bestmöglich seine Stärken in das Team einbringen kann. Die Logik dahinter: Nur wer auch falsche Entscheidungen treffen darf, der wird die richtigen Entscheidungen treffen. Nur wer auch dumme Fragen stellen darf, der wird die richtigen Fragen stellen.

Und jetzt? Vertrauen sticht Leistungsfähigkeit

Die Bedeutung von Teams kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, sind sie doch der Ort, an dem die Lösungen von morgen entstehen, die erfolgskritische Organisationseinheit im digitalen Zeitalter. Es gilt daher bei der Unternehmensentwicklung stärker als bisher den Fokus auf die Mechanismen in den Teams zu legen: Wie arbeiten wir zusammen? Welche Normen geben uns Orientierung? Was brauchen wir, um in Zukunft noch besser zusammenzuwirken? Dazu müssen Organisationen ihren Teams Unterstützung bereitstellen, etwa in Form von Moderatoren, Coaches oder Methodenkompetenz, damit so Räume entstehen können, in denen das Gefühl psychologischer Sicherheit den Boden für Höchstleistung bereitet. Damit einher geht ein Paradigmenwechsel, der im Sinne von Simon Sinek Vertrauen(swürdigkeit) höher als Leistungsfähigkeit einstuft und Teams entsprechend zusammensetzt, aber auch die Anreizsysteme und Führungsinstrumente anpasst. Natürlich passiert ein solcher Wandel nicht von heute auf morgen, sondern er bedarf der sorgsamen und fortlaufenden Kultivierung. Und doch, auch das zeigen die Ergebnisse von Google und Co., lässt sich das benötigte Maß an Anständigkeit und Empathie im Umgang miteinander im Sinne des legendären Typographen Erik Spiekermann auf eine einfache Formel bringen: »Don’t work for assholes. Don’t work with assholes.«


Dominik Kaufmann ist Gründer und Geschäftsführer von KAUFMANN / LANGHANS. Er arbeitete zuletzt als Projektleiter für die Strategie- und Organisationsberatung undconsorten und beriet dort DAX- und TecDAX-Unternehmen bei den Themen Transformation, Agilisierung und Vertrieb. Zuvor war er als Market Manager für die Daimler AG tätig. Dominik ist Alumnus der Studienstiftung und Mitglied bei Mensa e.V..