So könnte die Organisation der Zukunft aussehen

Das Ende der Unternehmen?


21. August 2019|By Dominik Kaufmann

Gewinnwarnungen in Serie, die Tachonadeln der Geschäftsklimaindizes allesamt im roten Bereich, die Wirtschaftsleistung sinkt, dazu geopolitische Konflikte, wohin man schaut – die deutsche Wirtschaft taumelt der Krise entgegen. Während die Unsicherheit zunimmt und sich das Gewitter am Horizont zusammenbraut, läuft sich die Beraterheerschar bereits warm. Im Gepäck das vermeintliche Allheilmittel gegen die großen und kleinen Verwerfungen: Eine Reorganisation. Und im Angesicht der nahenden Krise stellt sich tatsächlich die Frage, ob sie nicht vielen Unternehmen die Chance zu einer umfassenden Reorganisation bieten könnte. Einer Reorganisation allerdings, die sich nicht auf das aktionistische Neuzeichnen von Organigrammen beschränkt, sondern an der Wurzel der vor uns liegenden Veränderungen ansetzt und mutig die Voraussetzungen für den Erfolg von Morgen schafft. Denn klar ist: Die gerade erst beginnenden, massiven Umwälzungen des digitalen Zeitalters stellen große wie kleine, junge wie alte Unternehmen auf Sicht vor die Existenzfrage. Alte Wettbewerbsvorteile verlieren in der Welt von Morgen ihre Relevanz, Wert und Wertschöpfung verschieben sich fundamental. Es gilt daher für Unternehmen, nicht nur ihr Geschäftsmodell zu prüfen, sondern die ebenso grundsätzliche Frage nach der eigenen Organisation zu stellen und – wo nötig – radikal Hand an ein überkommenes Organisationsdesign anzulegen.

Eigentlich ist gutes Organisationsdesign simpel

Die Realität sieht leider häufig anders aus: Kästchen werden aktionistisch von links nach rechts und wieder zurückgeschoben, durchgezogene durch gestrichelte Linien ersetzt, hier und dort noch eine Matrix und als letzter (Hilfe-)Schrei irgendwas mit »Agile« – die gemeine Reorganisation ist meist Wirrwarr auf Millimeterpapier, das ohne sonderlichen Effekt verpufft und von der reorganisationsgeschulten Belegschaft nur noch mit Zynismus begleitet wird. Dabei sind die Anforderungen an gutes Organisationsdesign eigentlich simpel: Es soll im Verbund mit Governance und Prozessen die Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen bestmöglich koordinieren. Oder in anderen Worten: Organisationsdesign kanalisiert die Wertschöpfung innerhalb einer Organisation. Klassisches Organisationsdesign bewährte sich seit der Industrialisierung, indem es den Informationsfluss und so Entscheidungen ermöglichte: Informationen an zentraler Stelle sammeln (reporten), entscheiden und dann die Entscheidungen zur Umsetzung in die Organisation zurückspielen. So weit, so einfach, so eingeübt. Das Problem an alledem: Die Welt da draußen hat sich verändert. Und mit ihr auch die Anforderungen an Organisationen und ihr Design. Scharfkantige Organigramme gaukeln eine trügerische Einfachheit vor, die der Komplexität wie Geschwindigkeit des 21.Jahrhunderts nicht mehr gerecht wird. Das klassische Organisationsdesign mag gegenwärtig noch funktionieren, aber es führt die Organisation in den Verwaltungsmodus und damit auf Sicht in den Abgrund.  

Was bedeutet das für die Zukunft von Unternehmen

Das digitale Zeitalter fordert das Primat des Unternehmens als effektivsten Koordinationsmechanismus für die Zusammenarbeit von Menschen heraus. So wie es etwa Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger in ihrem lesenswerten Buch »Das Digital« zeigen, erleben wir gegenwärtig den Aufstieg von dezentralen Märkten bzw. Plattformen als konkurrierenden – und zunehmend effizienten – Koordinationsmechanismus. Anders als in Unternehmen fließen Informationen in Märkten nicht hierarchisch, sondern diffus und transparent von jedem zu jedem anderen Teilnehmer. Den Grund für den Aufstieg der Märkte als Koordinationsmechanismus sehen Ramge und Mayer-Schönberger in der flächendeckenden Datafizierung unserer Gesellschaft, die in der Breite informierte Entscheidungen erlaubt. Diese Entwicklung hat massive Auswirkungen auch auf das Organisationsdesign von Unternehmen. Der Grund: da sich die dezentrale Selbstkoordination immer häufiger als die effizientere Steuerungsform erweist – auch innerhalb von Unternehmen –, steht das Primat des Unternehmens als zentralisiert und hierarchisch organisiertes Gebilde in Frage. Das Ergebnis: Die Organisationseinheiten von Morgen werden kleiner, agiler, flexibler und cross-funktionaler agieren und aussehen. Ein wenig verhält es sich wie zu Zeiten der Dinosaurier: Schiere Größe wird unter veränderten Wettbewerbsbedingungen zum Wettbewerbsnachteil.

Der Einzelne wird zum Entscheider

Die erfolgreiche Organisation von Morgen integriert daher dezentrale Marktmechanismen, anstatt von ihnen ersetzt zu werden, sie schafft eine Art Mantel, unter dem die datenbeschleunigten Marktkräfte walten können. Für ein erhöhtes Maß an dezentraler Selbstkoordination müssen Unternehmen dabei im Wesentlichen zwei Voraussetzungen erfüllen: Einerseits braucht es Informationsverfügbarkeit und andererseits Entscheidungsbefähigung, beides jeweils in der Breite der Organisation. Während die zunehmende Datafizierung dazu beiträgt, dass sich die Informationsverfügbarkeit innerhalb von Unternehmen deutlich erhöht, so ist die Befähigung der Mitarbeiterschaft zum Treffen von Entscheidungen eine kulturelle Herausforderung, die dem eingeübten Organisationshabitus der Old Economy diametral entgegenläuft: In einer zunehmend als Markt organisierten Organisation wird die Einzelperson vom Umsetzer und Befehlsempfänger zum Entscheider, während Führungskräften zunehmend die Aufgabe zufällt, Räume zu schaffen, in denen ein jeder sein bestmögliches Potential abrufen kann – eine Vorstellung, die gegenwärtig kaum mit der organisationalen Realität vereinbar ist. Entsprechend herausfordernd gestaltet sich der notwendige Wandel hin zu einer effizienteren dezentralen Selbstkoordination. Ein wesentlicher Hebel dabei: Ein runderneuertes Organisationsdesign, das sich von der vordigitalen Denke löst und stattdessen per Design eine Kultur der Selbstverantwortung forciert. 

Eine Heerschar von Mikrounternehmen als Guckloch in die Zukunft

Wie ein Unternehmen, das sich selbst als Markt koordiniert, aussehen und funktionieren kann, zeigt der chinesische Haushaltswarenhersteller Haier. Das Unternehmen ist in rund 4.000 Mikrounternehmen gegliedert, die aus durchschnittlich 15 bis 20 Mitarbeitern bestehen und miteinander, aber auch mit der Außenwelt Handel treiben. Das Mutterunternehmen Haier fungiert dabei wie eine Art Company Builder, der den Mikrounternehmen Ressourcen zur Verfügung stellt und sie mit Expertise unterstützt. Doch Haier sah nicht immer so aus wie heute, sondern wurde gezielt so aufgestellt, um genau das zu meistern, woran die meisten großen Tanker heute zu knabbern haben: die digitale Transformation. Die Annahme hinter Haiers radikal progressivem Organisationsdesign: Konzerne scheitern meist am fehlenden Unternehmergeist in der Breite der Organisation. Um dem entgegenzuwirken, setzt Haier auf Marktmechanismen mit möglichst dezentralen Entscheidungen und kultiviert und incentiviert so flächendeckend eigenständiges Denken, Kreativität und Unternehmergeist. Haier ist ein Beispiel, wie die Zukunft des Organisationsdesign aussehen kann – und vielleicht gar muss, um das Unternehmen als Koordinationsmechanismus für die Zusammenarbeit von Menschen wettbewerbsfähig zu halten.


Dominik Kaufmann ist Gründer und Geschäftsführer von KAUFMANN / LANGHANS. Er arbeitete zuletzt als Projektleiter für die Strategie- und Organisationsberatung undconsorten und beriet dort DAX- und TecDAX-Unternehmen bei den Themen Transformation, Agilisierung und Vertrieb. Zuvor war er als Market Manager für die Daimler AG tätig. Dominik ist Alumnus der Studienstiftung und Mitglied bei Mensa e.V..