Vom Kleinen ins Ganze

Warum sich die Rolle der CEOs im digitalen Zeitalter grundlegend verändert


19. März 2021|By Dominik Kaufmann

Herausgefordert durch die massiv gestiegenen Anforderungen unterschiedlicher Stakeholder müssen CEOs ihre Prioritäten, ihren Führungsstil und ihre Kommunikation grundlegend verändern. Gelingt ihnen das, können sie ihren Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Zugespitzt formuliert: Früher war das Leben eines CEO verhältnismäßig einfach. Zwar mussten sich die Unternehmenslenker:innen auch im vordigitalen Zeitalter mit komplizierten Problemen auseinandersetzen, doch gab es für die Lösung all dieser Probleme stets ein klares Ziel: Die Steigerung des Shareholder Values. Es galt: Was den Aktionär:innen gefällt, tut auch der Firma gut. Im Konflikt- oder Krisenfall lagen die Werkzeuge schon griffbereit. Man drehte an der Kostenschraube, steigerte die Produktivität, investierte in eine neue Technologie oder eroberte einen neuen Absatzmarkt. Und selbst wenn eine CEO nicht für jedes Problem sofort eine Lösung wusste, war doch das Ziel ihrer Arbeit sonnenklar. The business of business was business.

Mit der zunehmenden Internationalisierung und der industriellen Digitalisierung hat sich der Wettbewerb in den vergangenen Dekaden immer weiter verschärft. Die Folge: Steigende Gewinnerwartungen an die Unternehmen von Seiten der Shareholder. Der Höhe- und Wendepunkt dieser Spirale: Die Finanzkrise von 2008. Der Crash zerstörte das gesellschaftliche Grundvertrauen in das Funktionieren unseres Wirtschafts- und Finanzsystems nachhaltig und säte Zweifel an einer zu kurzfristigen und zu einseitigen Ausrichtung von Unternehmen. Die transparenzschaffende Kraft der Digitalisierung, eine von Grund auf veränderte Kommunikationslandschaft und sich wandelnde gesellschaftliche Präferenzen verstärkten diese Zweifel in den vergangenen Jahren. Das Ergebnis: Im Jahr 2021 ist die Gesellschaft der wahre Aufsichtsrat eines Unternehmens.

Larry Fink, CEO des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, ließ das Primat des Shareholder Value im vergangenen Jahr mit seinem Brief an die CEOs dieser Welt dann auch endgültig über die Klippe springen. Die Botschaft: Shareholder Value is over. Oder in anderen Worten: Die Kapitalmärkte haben verstanden, dass Stakeholderorientierung die Bedingung für zukünftige Gewinne ist. Von nun an gilt: The business of business is to serve society. Mit einem Mal war der Stakeholder-Kapitalismus, der Unternehmen als Teil eines größeren Ganzen versteht, also nicht mehr bloß eine wolkige Idee, über die auf TED-Talks fabuliert wurde, sondern eine Entscheidungsrealität für alle CEOs – mit enormen Konsequenzen.

Eine fundamental veränderte Jobbeschreibung

Die Jobbeschreibung des CEO hat sich durch diesen Paradigmenwechsel grundlegend verändert. Aus der eindimensionalen Anforderung, ein Unternehmen zu managen und einigermaßen stumpf auf Profitabilität zu trimmen, ist das Management einer komplexen Stakeholderlandschaft geworden, bei dem die vielfältigen Erwartungen diverser Zielgruppen berücksichtigt und integriert werden müssen.

Die Konsequenz: Die CEO agiert immer mehr als Scharnier zwischen Gesellschaft, Investor:innen, Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Unternehmen. Sie moderiert zwischen den Anspruchsgruppen, übersetzt übergeordnete Trends und Entwicklungen in die Unternehmensrealität und fokussiert sich viel stärker als bisher auch auf die Unternehmensumwelt. Dies verlangt jedoch einen grundlegenden Perspektivwechsel: Es braucht das Verständnis, mit dem eigenen Unternehmen nicht der Nabel der Welt, sondern eben Teil eines größeren Ganzen, einer multilateralen Stakeholdergemeinschaft zu sein. Einer Gemeinschaft, innerhalb derer die Interessen nicht nur gegeneinander abgewogen, sondern viel mehr miteinander verknüpft werden müssen. Wenn Joe Kaeser beispielsweise als Reaktion auf die Fridays-for-Future-Bewegung, die sich unter anderem auch gegen Siemens richtete, das Gespräch mit Luisa Neubauer sucht, kann man das für einen PR-Stunt halten. Oder aber für den Versuch, den Dialog zu suchen, zuzuhören, externe Perspektiven in die Entscheidungen des Unternehmens einzubeziehen. Und so langfristig Vertrauen aufzubauen statt schwierigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Doch dient die Vernetzung und der Blick nach Außen nicht nur der Abwehr und Umkurvung potentieller wirtschaftlicher Hemmnisse. In einer sich immer schneller verändernden Welt wird für CEOs der Austausch – man denke beispielsweise an die gemeinsame Autofahrt von Herbert Diess und Elon Musk im ID.3 im letzten Jahr – und die Vernetzung mit Partnern wie Wettbewerbern immer wichtiger. Mehr noch: Die Fähigkeit zur strategischen Vernetzung ist die Grundlage für Resilienz und Innovationsfähigkeit eines Unternehmens.

Der CEO als Kommunikator und Brückenbauer

Der Wandel vom Shareholder- zum Stakeholder-Value stellt zugleich auch gänzlich neue Anforderungen an die öffentliche Kommunikation von CEOs. Immer mehr Stakeholder – von Mitarbeiter:innen, über Konsument:innen bis hin zur Gesellschaft – verlangen mehr Haltung von Unternehmenslenker:innen zu gesellschaftspolitischen Themen. Aktivistische CEOs, die zu solchen Themen Stellung beziehen, erhöhen zugleich aber auch die Fallhöhe und das Risiko für ihr Unternehmen. Es gilt: Wer sich positioniert, der macht sich auch angreifbar.

Entsprechend steigt die kommunikative Verantwortung der Vorstandsvorsitzenden um ein Vielfaches – und die der Unternehmenskommunikation gleich mit. Denn wenn CEO-Aktivismus nicht Teil einer abgestimmten Kommunikations- und Unternehmensstrategie ist, wird er schnell zu einem strategischen Bumerang, der mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt. Insgesamt liegt in der öffentlichen Positionierung für CEOs jedoch mehr Chance als Risiko. Der Grund dafür ist simpel: Während das System- und Institutionsvertrauen in den letzten Jahren deutlich sank, ist das gesellschaftliche Vertrauen in Individuen enorm gestiegen. Für CEOs liegt in diesem Trend eine große Chance: Wenn sie das wachsende Vertrauen durch authentische Kommunikation und glaubwürdige Handlungen rechtfertigen, können sie zu Brückenbauern in einer immer polarisierteren Gesellschaft werden – mit erheblichen Vorteilen für die Unternehmen, denen sie vorstehen.

Die CEO als Vorbild und Möglichmacherin

Schließlich erfordern die veränderten Rahmenbedingungen des digitalen Zeitalters auch ein anderes Verständnis von Führung. CEOs müssen viel stärker als bisher Sinnhaftigkeit vermitteln – nach innen und nach außen. Zwar bleibt Arbeit auch mit einem Purpose noch Arbeit, doch ist Purpose längst zu einer erfolgskritischen Messgröße für Unternehmen geworden. Die CEO ist erste Botschafterin der eigenen Organisation und es liegt in ihrer Verantwortung, die Unternehmensvision in konkrete Ziele zu übersetzen und mit Leben zu füllen. Diese veränderte Rolle erfordert nicht zwangsläufig weniger Führung, sondern andere, bessere, ja mitunter vielleicht sogar mehr Führung. Denn insbesondere unter den Bedingungen der rasanten Beschleunigung ist Führung – verstanden als Dienst am Team – wichtiger denn je.

Leadership im 21. Jahrhundert bedeutet, die Fähigkeit zu haben, Komplexität zu moderieren und individuelle Interessen auszugleichen. CEOs müssen mit Überzeugung und Klarheit die Richtung vorgeben, Grenzen abstecken und zugleich größtmögliche Freiheitsgrade geben, der Eigenverantwortung jedes und jeder Einzelnen vertrauen und sich selbst – genau wie ihr Unternehmen – als Teil eines größeren Ganzen verstehen. Als Prima oder Primus inter pares.


Maximilian Van Poele ist Consultant bei KAUFMANN / LANGHANS. Zuvor arbeitete er bei der Agentur hypr und entwickelte dort u. a. die strategische Positionierung für die Innovationsplattform eines mittelständischen Familienunternehmens. Maximilian hat Communication Management studiert und wurde 2019 vom PR Report als Young Professional des Jahres ausgezeichnet.